Neuseeland

Nordinsel #22: Russell & unser 1. Kiwi

Von Matakana nach Russell sind es über den SH1 gute 3,5 Stunden Fahrt, auf der Route nach Norden kommen wir auch ohne weiteres durch. Auf der Route nach Süden hingegen ist die SH1 teilweise noch gesperrt. Wir werden also an krassen Fahrbahnabsenkungen von bis zu einem Meter vorbeigelenkt, Abbruchkanten am Fahrbahnabgrund, die 20 oder 30 Meter steil die Böschungen hinuntergehen und ganzen Bergrutschen mit Geröll und Felsen auf dem Asphalt. Die Fotos dazu seht Ihr unter Neuseeland #21.

Wir machen in Wangharei im Hafen Mittagspause, sitzen am Hafen und genießen unser Lachstoastie. Es ist ein schöner Ort mit einer Hafenpromenade, netten Restaurants und Läden und einem Kunst- und Kulturzentrum gestaltet von Friedensreich Hundertwasser – und das ist von weitem bereits zu erkennen.

Auf unserem weiteren Weg fahren wir durch Kawakawa, ein kleiner Ort in der Bay of Islands, der bekannt ist durch seine öffentlichen Toiletten, die ebenfalls Friedensreich Hundertwasser gestaltet hat und die wir gebührend bewundern.

Wir hatten bei der Routenplanung überlegt, ob wir den längeren Küstenweg nach Russell nehmen oder lieber die Fähre von Paihia aus, die in nur 15 Minuten übersetzt. Wir haben uns für die Fähre entschieden und checkten erst im letzten Moment, dass es eine Autofähre von Opua aus gibt und eine reine Personenfähre, die regelmäßig zwischen Russell und Paihia hin- und herfährt. Also ging es mit der Autofähre auf die andere Seite der Bay und dann noch einige Kilometer weiter in das kleine Örtchen Russell.

Wir haben selten ein so hübsches, gemütliches Nest gesehen wie Russell! Die Uhren laufen hier definitiv langsamer!

Es ist noch sehr viktorianisch angehaucht und verbreitet durch seine subtropische Vegetation ein bisschen karibischen Flair.

Was man über Russell allerdings noch wissen sollte, ist, dass es die allererste Hauptstadt von Neuseeland war. Erst später wurde diese nach Auckland verlegt und dann nochmal nach Wellington.

Der Ursprung von Russell liegt jedoch bei den Maori – noch lange bevor Kapitän Cook im Jahr 1769 in Neuseeland anlegte: Russells ursprünglicher Name war Kororāreka. Man glaubt, dass der Name von einem verwundeten Maori Clan Chef kommt, dem als Medizin eine Pinguin-Suppe gereicht wurde. Als der Chief die Suppe kostete, sagte er ‘Ka reka ko kororā’, was so viel heißt wie „wie süß ist der Pinguin“. 🙂

In den frühen 1800er Jahren, begannen europäische und amerikanische Schiffe Russell zu besuchen und Handel mit den lokalen iwi (Maori-Stamm) zu betreiben. Russell war ein sehr sicher anzusteuernder Hafen und so wurde der Ort sehr populär bei Matrosen, Walfängern und Händlern – aber genauso bei desertierten Seemännern, davongelaufenen Strafgefangenen, Alkoholverkäufern und Prostituierten. Der einst friedliche Hafen bekam den Ruf des „Höllenlochs des Pazifiks“. Davon merkt man heute so gar nichts mehr.

Wir beziehen unser Zimmer in einem B&B, das ebenfalls wie eine alte viktorianische Villa aussieht. Direkt hinter dem Haus geht der Regenwald weiter: es pfeift, zirpt und raschelt überall.

Auf allen Straßen rund um Russell findet man deutliche Hinweisschilder, dass dies ein Kiwi-Gebiet ist und man bitte vorsichtig fahren soll.

Unsere Gastgeberin Sue fragt uns noch am nächsten Morgen, ob wir den ständigen langen Vogelruf in der Nacht gehört hätten, der hinter dem Haus über Stunden erklang. Ich war davon tatsächlich wach geworden in der Nacht und war erstaunt zu hören, dass dies der Ruf vom Kiwi war. Sue erklärte, dass hinterm Haus im Regenwald jede Menge der scheuen Vögel rumlaufen würden, aber natürlich nur nachts, denn sie meiden das Tageslicht. Also hatten wir zumindest schon mal den Kiwi rufen hören. Ob wir endlich an unserer letzten Station in Neuseeland einen sehen würden? Wir hatten starke Zweifel. Das wäre schon eine kleine Sensation.

Am Abend waren wir an der Promenade essen und ich überredete Dirk, danach noch eine Runde zu drehen auf der Straße hinter dem Haus und hoch auf den einen Aussichtspunkt, der einsam genug war, damit sich Kiwis abends dort wohl und sicher vor Touristen fühlen. Dirk konnte mir den Wunsch nicht abschlagen und so fuhren wir hoch auf den Berg und standen still im Licht der untergehenden Sonne. Auch fototechnisch war der Ausflug nicht schlecht, man hatte eine weite Sicht über die komplette Bucht. Und da ich mit Adleraugen gesegnet bin, die alles Bewegliche schnell wahrnehmen, sah ich auch einen dicklichen braunen Vogel mit langem dünnen Schnabel durch das Gras flitzen.

Wir bewegten uns leise auf dem einen Weg entlang – und tatsächlich: in der Dämmerung stolzierte unverkennbar ein Kiwi gut 5 Meter vor uns durch die Wiese. Wir waren fassungslos vor Glück! Ich hatte Gänsepelle. 🙂

So schnell bekam ich kaum das Handy angeschaltet und im Licht der Dämmerung war es schwierig noch ein paar Lichtstrahlen einzufangen, um den Vogel so auf das Foto zu bannen, dass wenigstens der Schnabel gut erkennbar war.

Aber so einigermaßen ist es mir dann geglückt und als der Kiwi nach 5 Minuten endgültig im Wald verschwand, zogen wir selig ab in unser B&B und konnten am nächsten Morgen Sue und den Nachbarn was erzählen und zumindest ein ordentliches Beweisfoto vorzeigen.

Genau gegenüber von Russell liegt Paihia, das mit einer Personenfähre gut zu erreichen ist. Die Geschichte von Paihia hat deutlich mehr zu bieten als der Ort heute. Da kann ich nur das hervorragende Steakhouse „Bad Habbits“ mit angeschlossenem Butcher und Ginladen empfehlen und dann war’s das.

Geschichtlich gesehen aber ist Paihia sehr bedeutend, denn hier wurde Neuseelands Gründungsdokument zwischen Briten und Maori unterzeichnet, der Treaty of Waitangi, ein bis heute gefeiertes Event, das aber auch eine lange Serie von Kriegen und Provokationen zwischen Maori und den Neuankömmlingen aus Europa begründete. Einschusslöcher in der alten christlichen Kirche zeugen immer noch davon. Heute hat man sich arrangiert und feiert und zeigt dies mit einem gemeinsamen Flaggenmast und einer Fahne, die an speziellen Feiertagen gemeinsam gehisst wird.

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